Weichensteuerung auf Basis eines zugelassenen generischen VDV-Kerns
Allein in Deutschland existieren mehr als 60 verschiedene Signalordnungen, die zwar die BOStrab als Grundlage haben, aber historisch individuell für die Bedürfnisse der jeweiligen Verkehrsbetriebe entwickelt wurden und gewachsen sind. Also gibt es bei den deutschen Verkehrsbetrieben im Gegensatz zur DB nicht die eine „Weichensteuerung“, sondern die in den letzten Jahrzehnten im Hause HANNING & KAHL entwickelten Weichensteuerungen wurden immer individuell auf Kundenwunsch gefertigt.Von Hans-Joachim Pütsch
Wenn man die 80 weiteren Länder hinzunimmt, in denen wir tätig sind, potenziert sich die Anzahl der Individuallösungen. Um dem entgegenzuwirken, haben wir uns entschlossen, eine generische Weichensteuerung zu entwickeln und über einen unabhängigen Sachverständigen eine Zulassung zu erwirken, die die Schutzfunktionen einer Weichensteuerung nach VDV331 im Kern umsetzt. Aus dieser Generik wird dann eine spezifische Weichensteuerung abgeleitet. Dieses Vorgehen konnten wir bereits in Städten wie Oslo, Würzburg, Bremen und Krefeld erfolgreich umsetzen.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren neue Erkenntnisse innerhalb der „anerkannten Regeln der Technik“, ein wachsender Aufwand in der Nachweisführung mit der Herausgabe neuer Prozessrichtlinien, z. B. CENELEC. Zudem erfordert die Bestellung mit Sicherheitsintegrität gemäß SIL3, EN 5012x neue Funktionalitäten im Rahmen der funktionalen Sicherheit wie z. B. die technische Überwachung und Fehleroffenbarung am Weichenlagesignal oder korrigierende Verfahren im Stör- und Regelbetrieb.
Hieraus resultiert für HANNING & KAHL und unsere Kunden zukünftig eine Vereinfachung bzw. Verkürzung des Prozesses, da für die generische Weichensteuerung seit Juni 2022 das Gutachten vorliegt.
- Aufwand wird planbarer und hat Einfluss auf den Kundenwunschtermin.
- Zusicherung zur Abnahme (gegenseitige Anerkennung).
- Vereinfachung von Angebot und Pflichtenheft: Es wird nur noch das Delta spezifiziert.
- Automatisiertes Testen wird möglich.
Die Abbildung 1 zeigt das Prinzip der generischen Weichensteuerung und die Ableitung der spezifischen Weichensteuerung. Auch hier wurde bereits auf eine Trennung von sicherheitsrelevanten (HN-P) und nicht sicherheitsrelevanten Funktionen (HLUmulti) geachtet, die eine bessere Systemwartbarkeit gewährleistet. Über die HLUmulti werden nicht sichere Funktionen wie die Weichenbedienstufe, die Anbindung von Meldungsübertragungssystemen, ein Fernwartungszugang und die Schnittstelle zum übergeordneten Leitsystem gehandelt.
In der Vergangenheit konnte der Betriebsleiter eines Verkehrsbetriebes sicherheitstechnische Anlagen eigenverantwortlich in Betrieb nehmen. Mit der letzten Änderung der BOStrab hat sich die Verantwortung in Richtung Zulassungsbehörden verschoben. Fazitder letzten Projekte: Diese längeren Zeiten bei der Nachweisführung muss der Verkehrsbetrieb bereits bei seiner Planung berücksichtigen. Wenn vor fünf Jahren die Zeit von der Ausschreibung bis zur Inbetriebnahme einer Weichensteuerung weniger als ein Jahr betragen hat, sind es heute zwei bis drei Jahre. Wenn die Politik Infrastrukturprojekte schneller umsetzen und Planfeststellungsverfahren abkürzen möchte, steht das leider heute im Gegensatz zur aktuellen Gesetzgebung.
