Ein Leben für die Straßenbahnen Schlesiens – Herausforderungen und Visionen
Bolesław Knapik: Vorstandsvorsitzender der Tramwaje Śląskie S.A.- 70 Jahre alt - Absolvent der Fakultät für Verkehr und Dienstleistungen der Wirtschaftsuniversität in Kattowitz, Fachrichtung Schienenverkehr. Verbringt seine Freizeit gern beim Wandern mit der Familie.
tram.news: Wie lange arbeiten Sie schon bei dem oberschlesischen Straßenbahnbetreiber Tramwaje Śląskie S.A.?
Bolesław Knapik: Angefangen hat meine Arbeit hier 1983, seit 2003 bin ich VorstandsmitgIied und seit 2017 habe ich die Ehre, Vorstandsvorsitzender der Tramwaje Śląskie S.A im Verband und Gebiet der Metropolis GZM (ehemals Górnośląsko-Zagłębiowska Metropolia) zu sein.
tram.news: Wie wichtig ist der öffentliche Verkehr in Oberschlesien und was zeichnet Ihr Unternehmen aus?
Bolesław Knapik: Der elektrische Straßenbahnverkehr in Oberschlesien ist seit 126 Jahren in Betrieb. Der Verlauf unserer Straßenbahnlinien ist in vielen Fällen historisch geprägt durch Verbindungen mit ehemaligen, heute oft nicht mehr existierenden Industrieanlagen. Im Vergleich zu anderen Städten in Polen ist hier das Liniensystem so ausgedehnt, dass in einer Ost-West-Anordnung, d.h. zwischen dem Betriebshof in Gliwice und der Straßenbahnschleife in Huta Katowice, eine Linie mit einer Länge von 100 km betrieben werden konnte.
Da unsere Straßenbahnlinien in einem stark verstädterten Gebiet gebaut wurden, gibt es eine große Anzahl von Straßenbahnschienen im Straßenverkehr, was zu verschiedenen Betriebsproblemen und hohen Wartungskosten führt. Heute gewinnt der ÖPNV in Oberschlesien an Wichtigkeit und wir beobachten eine Tendenz, den individuellen Autoverkehr aus den Stadtzentren zu entfernen. Wir bauen also Umsteigeknotenpunkte da die Zulassung für Autos und in einigen Fällen auch für Buslinien in Städten begrenzt ist. In Katowice zum Beispiel dürfen nur Straßenbahnen in das sehr eng begrenzte Stadtzentrum fahren. Darüber hinaus beobachten wir einen stetigen Anstieg der Zahl der Fahrgäste, die nach ihrer Abwanderung während der Covid-19-Pandemie wieder zurückkehren und gerne die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.
tram.news: Wie groß ist das Straßenbahnnetz in der Region, wie viele Fahrzeuge haben Sie und wie viele Fahrgäste werden täglich befördert?
Bolesław Knapik: Unser Straßenbahnnetz umfasst etwa 330 km Gleise, 290 Fahrzeuge und 34 Umspannwerke. Wir befördern im Durchschnitt um die 52 Millionen Fahrgäste. Im Jahr 2019 haben wir eine Rekordzahl von 70 Millionen Fahrgästen bedient.
tram.news: Wie lange arbeiten Sie schon mit HANNING & KAHL - in Polen durch Bibus Menos Sp. z o. o. vertreten - und welche Produkte setzen Sie ein?
Bolesław Knapik: Wir setzen HANNING & KAHL-Produkte und Systeme in Tramwaje Śląskie seit dem Jahre 2000 ein, in Zusammenhang mit den damals neuen von Konstal (Alstom) hergestellten Straßenbahnen mit elektrohydraulischen Bremssystemen, aber auch in der Infrastruktur setzen wir zum Beispiel elektrische Weichenantriebe zusammen mit Steuerungen und Heizungssystemen ein.
Das erste Steuerungs- und Heizungssystem für Weichenantriebe wurde bei TŚL im Dezember 2012 auf dem Marktplatz in Katowice eingebaut. Einen repräsentativeren Ort für ein solches Debüt kann man sich kaum vorstellen. Dank ihrer Zuverlässigkeit, ihrer Langlebigkeit und der niedrigen Betriebskosten haben sich die Weichenantriebe und Steuerungen von HANNING & KAHL schnell bewährt und wurden sofort auch in anderen Städten und Straßenbahnlinien in Oberschlesien eingesetzt. Nicht ohne Bedeutung ist die Tatsache, dass Bibus Menos-Mitarbeitende in jeder Investitions- und Betriebsphase aktiv sind, angefangen von der Zusammenarbeit mit Planungsbüros über die Teilnahme an Bauausschüssen bis hin zur umfassenden Montage des Systems vor Ort sowie bei der Inbetriebnahme und der technischen Abnahme, und danach in der Wartung, der Gewährleistung und Dienstleistungen nach der Gewährleistungsfrist, im Kundendienst, in der Beratung und in der Zusammenarbeit mit unseren Arbeitgebern im täglichen Betrieb.
tram.news: Wie haben die Investitionen das Gesicht von Oberschlesien verändert und welche davon sind für Sie am wichtigsten?
Bolesław Knapik: Seit der Umwandlung der staatlichen Handelsrechtsgesellschaft Tramwaje Śląskie in ein kommunales Unternehmen im Jahr 2008 konnte das Unternehmen EU-Mittel in Anspruch nehmen. In den letzten zwei haushaltspolitischen Perspektiven haben wir bereits rund 500 Millionen € EU-Mittel investiert. In der ersten EU-Perspektive investierten wir in die Modernisierung alter Straßenbahnen, die Anschaffung neuer Straßenbahnen sowie in die Wiederbelebung alter Strecken. Im nächsten Schritt haben wir nur neue Straßenbahnen gekauft und zum ersten Mal in 30 Jahren haben wir zwei neue Straßenbahnlinien gebaut. Viele eingleisige Abschnitte haben wir auch in zweigleisige Strecken umgebaut. Dadurch wurde der Zugang der Bewohner zum Straßenbahnverkehr erweitert, die Fahrtgeschwindigkeit verbessert und die Frequenz des Straßenbahnverkehrs erhöht. Unsere umweltfreundlichen Aktivitäten haben wir auch verstärkt, indem wir die Beeinträchtigung der Umgebung durch den Straßenbahnverkehr verringert haben und zwar durch Verbesserung der akustischen Beeinträchtigung und Reduzierung der Vibrationsbelastung. Zugleich brachten uns die Modernisierung und die Anschaffung neuer Fahrzeuge sowie die Umstellung von einem Widerstandsantrieb auf ein elektronisches System eine Einsparung von ca. 30 % beim Stromverbrauch pro Waggon. Außerdem sind wir das einzige Unternehmen in Polen, das einen Energiespeicher, der Traktionsenergie aus der Rückspeisung zurückgewinnt, gebaut hat.
Nach einer so langen Phase der Stagnation sind diese Investitionen von großer Bedeutung für das Unternehmen, denn wir modernisieren nicht nur, was wir bereits seit Jahren haben, sondern entwickeln uns weiter und verbessern den Reisekomfort erheblich. Es bleibt noch viel zu tun, aber die Fortschritte sind beachtlich, und die Verbesserungen deutlich sichtbar. Von all diesen Projekten war für mich das wichtigste der Bau der Straßenbahnlinie in Sosnowiec von der Schleife in Zagórze bis zum Johannes-Paul-II-Platz, weil es die erste neue Linie seit vielen Jahren war.
tram.news: Welche neuen Investitionen planen Sie in den kommenden Jahren? Werden Sie weitere Straßenbahnen kaufen?
Bolesław Knapik: Im Rahmen des neuen EU-FENX-Programms planen wir weitere Modernisierungen der Gleise, aber auch Entwicklungsinvestitionen in Katowice und Sosnowiec. Wir planen die weitere Beschaffung von modernen Straßenbahnen, die den Erwartungen der Fahrgäste entsprechen. Dabei handelt es sich um Niederflurfahrzeuge, die klimatisiert und komfortabel und beispielsweise mit Wi-Fi ausgestattet sind. Zurzeit bereiten wir einen FENX-Antrag auf Fördermittel in Höhe von ungefähr 150 Millionen € , aber wir werden auch Mittel für den Kauf im Rahmen des Nationalen Plans für Wiederaufbau und Resilienz (NRP) beantragen, d.h. von der EU gesicherte Mittel zum Ausgleich der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid 19-Pandemie.
tram.news: Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Herr Knapik. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg.
Bolesław Knapik: Wir bedanken uns auch bei Ihnen und herzliche Grüße von mir an alle Leser.
Gestellt wurden die Fragen im Auftrag von tram.news von Damian Pradela / BIBUS MENOS