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Weichensteuerung für die Straßenbahn Amsterdam – Stand der Technik

Die Uithoornlijn ist ein neuer Abschnitt des Straßenbahnnetzes in Amsterdam, welcher Uithoorn, einen Vorort, mit Amsterdam verbindet. Um sicherzustellen, dass die Straßenbahnen während des Betriebs das Depot verlassen und wieder zurück einfahren können, wird ein Weichenkomplex am Ein- und Ausgang des Betriebshofs realisiert. Da die Straßenbahnen in diesem Bereich mit 50 km/h fahren und eine Ein- / Ausfahrt vorhanden ist, ist ein Weichensteuerungssystem erforderlich, das sicherstellt, dass der Betrieb sicher abläuft. In diesem Beitrag wird das System vorgestellt, das verwendet wird, um einen sicheren Betrieb auf der Uithoornlijn zu gewährleisten.

1 Projekt Information
Die Zahl der ÖPNV-Nutzer in der Region Amsterdam, zu der Amstelveen und Uithoorn gehören, ist in den letzten Jahren gestiegen. Es wird erwartet, dass die Zahl der Passagiere in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Um auch in Zukunft eine gute Erreichbarkeit der Region zu gewährleisten, wird das öffentliche Verkehrsnetz in der Region im Auftrag der Verkehrsregion Amsterdam (VRA) weiter ausgebaut. Eine der Entwicklungen ist die Verlängerung der erneuerten Amstelveenlijn bis zum Dorfzentrum von Uithoorn: die Uithoornlijn. Eine neue, hochwertige Straßenbahnlinie, die zuverlässiger und schneller ist als die aktuelle Buslinie (Uithoornlijn, 2022).

1.1 Vorstellung Erweiterung Linie
Die neue Uithoornlijn ist 4,4 km lang und läuft von Amstelveen bis nach Uithoorn (Bild 1). Insgesamt gibt es auf der Neubaustrecke drei Weichenkomplexe. Der erste befindet sich bei der Ein- und Ausfahrt zum Depot (Bild 2). Hier ist es möglich, über insgesamt fünf Weichen ins Depot oder auf die Strecke zu fahren. Beim zweiten Komplex, der Haltestelle Uithoorn Station, ist es möglich, auf der Strecke zu wenden oder eine defekte Straßenbahn auf einem Abstellgleis abzustellen. Am Ende der Linie, bei der Haltestelle Uithoorn Centrum, wird über einen Kreuzgleiswechsel die Haltestelle mit anschließender Richtungsumkehr bedient.

1.2 Vorstellung Erweiterung Depot
Neben der Verlängerung des bestehenden Netzes wird auch die Kapazität des Straßenbahndepots erweitert. Die Erweiterung beinhaltet den Bau einer Waschanlage, Quick Repair Möglichkeiten, extra Abstellgleise und einen Zugang zur Strecke zwischen Amstelveen und Uithoorn.

2 Anlage WK2701
Da im Bereich der Depotein- bzw. -ausfahrt mit einer Geschwindigkeit vom 50 km/h gefahren werden soll und die Anforderungen an die Verfügbarkeit aufgrund der kritischen Lage hoch sind, muss die Steuerung und Sicherung des Weichenkomplexes durch eine Fahrsignalanlage mit einem Sicherheitsintegritätslevel 3 (SIL3 nach CENELEC EN 50126) für die Schutzfunktionen zum Einsatz kommen.
Dabei sind von besonderer Bedeutung:

  • ein sicheres Fahrstraßenmanagement zum Ausschluss von Kollisionen von Bahnen untereinander
  • ein zusätzlicher Flankenschutz durch Flankenschutzweichen aufgrund der erhöhten Geschwindigkeit
  • eine sichere und lückenlose Erfassung von Fahrzeugen im gesamten Sicherungsbereich
  • die sichere Steuerung der Weichenantriebe bzw. ein zuverlässiger Umstellschutz
  • die verlässliche Signalisierung der Befahrbarkeit. Als Systemlieferant hat Hanning & Kahl im Auftrag der Gemeinde Amsterdam die Fahrsignalanlage WK2701 errichtet, die neben den geforderten Sicherheitsfunktionen noch weitere Anforderungen des Assetmanagers GVB umsetzt:
  • fahrzeugbewirkte Anforderung von Fahrstraßen mit dem VECOM-System
  • Möglichkeit zur manuellen Korrektur bzw. Ersatzanforderung durch den Straßenbahnfahrer an der Strecke
  • Teilauflösung von Fahrstraßen zur Erhöhung des Durchsatzes
  • verbessertes Fehlermanagement zur Optimierung der Anlagenverfügbarkeit.

Eine Fahrsignalanlage für das Fahren auf Sicht muss gemäß der Integritätsanforderung 2.5.4 Fahrstraßenbildung der VDV331 ein sicheres Fahrstraßenmanagement haben. Hierzu verwendet Hanning & Kahl einen sicheren Fahrstraßenprozess arbeitet.

Auf eine Fahrstraßenanforderung folgt eine Zulassungsprüfung, die u. a. den Zustand der stellbaren Elemente, das Freisein von Detektionsmitteln, Ausschlüsse und mehr prüft. Ist die Zulassungsprüfung erfolgreich, kommt es zum Einstellvorgang: Alle Elemente der Fahrstraße werden in Soll-Lage gestellt, entsprechend verschlossen, und etwaige Fahrstraßenausschlüsse werden aktiv (Fahrstraßenfestlegung). Nach dem erfolgreichen Stellvorgang kommt es zur Fahrterlaubnis, und die Fahrstraße kann durch die Straßenbahn sicher befahren werden. Hat diese den Fahrweg korrekt befahren und freigefahren, wird die Fahrstraße aufgelöst.

2.1 Fahrstraßenmanagement
Die Fahrsignalanlage WK2701 steuert sechs Fahrstraßen: Je eine Fahrstraße für die regulären Streckenfahrten sowie vier Fahrstraßen für das Ein- und Ausfahren aus dem Depot. Das Besondere an dieser Konfiguration ist, dass man aus beiden Richtungen (Norden und Süden) ins Depot einfahren kann, aber das Depot nur in südliche Richtung verlassen kann.

Da es wegen des Depotzugangs mehrere Kreuzungspunkte gibt, sind hier konkrete Fahrtausschlüsse notwendig, um Kollisionen der kreuzenden Fahrten mit den Streckenfahrten auszuschließen. Des Weiteren wird hier aufgrund der hohen Geschwindigkeit von bis zu 70 km/h besonders Wert auf die Nutzung von Flankenschutzweichen gelegt: Beim Prinzip „Fahren auf Sicht“ ist grundsätzlich keine Zugbeeinflussung notwendig, die zu einer Zwangsbremsung bei
Missachtung von haltzeigenden Signalen führt. Der Straßenbahnfahrer ist, wie im Straßenverkehr, stets für ein vorausschauendes und angepasstes Fahren verantwortlich, um bei Bedarf rechtzeitig halten zu können. Dennoch kann es durch menschliches Versagen, durch Verbremsen oder andere Ereignisse dazu kommen, dass an einem Haltsignal vorbeigefahren wird. Für diesen Fall werden zum Schutz des gesicherten Fahrweges Flankenschutzweichen in abweisende Stellung gebracht und verschlossen, sodass es zu keinen Kollisionen kommen kann.

Da die zu sichernden Fahrwege aufgrund der Gleisdimensionierung teilweise sehr lang sind, wurden die Fahrwege in Teilfahrwege unterteilt, um Teilauflösungen der Fahrstraßen zu ermöglichen. Dadurch können andere ausgeschlossene Fahrstraßen früher zugelassen und eingestellt werden, wodurch sich der betriebliche Durchsatz deutlich erhöht. Die Fahrstraßenanforderung erfolgt grundsätzlich zugbewirkt. Als Rückfallebene gibt es aber an der Strecke für den Straßenbahnfahrer Möglichkeiten zur Korrektur und Ersatzanforderungen. Der Straßenbahnfahrer kann sich so prinzipiell selbst helfen und ist nicht auf die Mitwirkung von technischem Personal angewiesen. Das Instandhaltungspersonal
hat auf besonderen Wunsch ebenfalls die Möglichfiguration keit, aus dem Steuerschrank heraus Fahrstraßen einzustellen und zurückzunehmen sowie die einzelnen Weichen zu Wartungszwecken anzusteuern.

2.2 Degraded Mode / Automatic Reset
Kommt es im System zu Fehlern oder Störungen, reagiert die Fahrsignalanlage je nach Fehler restriktiv und zur sicheren Seite hin: Stellbare Elemente bleiben oder werden verschlossen, Signale zeigen Halt oder werden dunkel. Schwere Fehler, wie z. B. der Ausfall von Komponenten, Kanalstörungen im sicheren Rechnersystem oder Einkopplung von Spannungen müssen durch das Instandhaltungspersonal untersucht und behandelt werden und führen daher
zu einer Abschaltung des Systems. Andere Fehler, wie z. B. die unzulässige Vorbeifahrt an haltzeigenden Signalen oder unzulässige Handumstellung von Weichen, die durch Fehlverhalten der Straßenbahnfahrer entstanden sind, werden durch den sogenannten „Degraded Mode“ abgefangen: ähnlich wie bei der Abschaltung sind alle Weichen verschlossen, und alle Signale zeigen „Halt“, jedoch besteht die Möglichkeit zur automatischen Rückkehr in den Normalbetrieb. Wenn alle anderen Fehler nicht mehr anstehen und der gesamte, durch die Freimeldung erfasste Bereich über eine definierte Zeit frei ist, kehrt das System zum Normalbetrieb zurück und steht wieder für die weitere Betriebsabwicklung zur Verfügung. Damit dies gelingt, verfügt der komplette Bereich der Fahrsignalanlage über eine sichere und zusätzlich lückenlose Fahrzeugerfassung.

3 Zertifizierung SIL3
Die CENELEC-Norm EN 50126 definiert RAMS-Anforderungen für Bahnsysteme. Das dort beschriebene V-Model zeigt das Lebenszyklusmodel vom Konzept bis zur Außerbetriebnahme (Bild 6). Der Ansatz verdeutlicht die notwendige enge Zusammenarbeit zwischen Betreiber und Hersteller, um die Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten. Die Risikoanalyse zur Fahrsignalanlage WK2701 fordert für die Sicherheitsfunktionen SIL3. Um dies zu erreichen, gilt es im Entwicklungs- und Herstellungsprozess durch Verfahren, wie z. B. das Vieraugenprinzip oder die Rollenunabhängigkeit von Beteiligten, der Entstehung von systematischen Fehlern entgegenzuwirken. Je Phanals se werden die Anforderungen detailliert, spezifiziert und unabhängig verifiziert. Dafür werden die notwendigen Techniken und Maßnahmen der CENELEC-Normen angewendet und dokumentiert. Mit Abschluss der Phasenverifikation erfolgt der Übergang in die nächste Phase.

In Phase 5 des V-Zyklus beginnen die systematischen Gefährdungsanalysen auf Basis des Systementwurfs. Dazu gehört die Bestimmung der Ausfallraten (TFFR) jeder Sicherheitsfunktion mit den zugehörigen Systemkomponenten sowie die Fehlermöglichkeits-, Einfluss- und Kritikalitätsanalyse (FMECA) zur Beherrschung zufälliger Ausfälle. Deren Berechnung muss belegen, dass zufällige Fehler einzelner Komponenten oder Bauteile auf die Sicherheitsfunktionen ausreichend klein sind und somit beherrscht werden. Für die Sicherheitsfunktionen der Anlage WK2701 gilt hier ein Wert ≤ 10-7 Ausfälle/h. Neben den Gefährdungsraten werden auch Werte für die Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Wartbarkeit rechnerisch ermittelt. Sie basiert ebenfalls auf Normen zu Ausfallraten von Bauteilen und zeigt eine Verfügbarkeit der Anlage WK2701 von > 99,99 % bei einer mittleren Reparaturzeit (MTTR) von ≤1,5 h für jeden angenommenen Komponentenausfall. Entlang der Phasen werden neu auftretende Gefährdungen gemeldet und vom Sicherheitsmanager im Gefährdungslogbuch eingetragen und bis zu deren Erledigung verfolgt. So ist z. B. während der Bestimmung der Ausfallraten aufgefallen, dass mit der ursprünglich geplanten Fahrzeugdetektion das Sicherheitsziel nicht für alle geforsystem derten Funktionen erreicht werden konnte. Daher erfolgte in einer Iteration der Phase 5 ein Redesign eines Teilsystems. Der Sicherheitsnachweis fasst schließlich den gesamten Entwicklungsprozess zusammen und attestiert unter Berücksichtigung der spezifisch formulierten, sicherheitsbezogenen Anwendungsbedingungen (SRAC) das Erreichen des geforderten Sicherheitsintegritätslevels. Darüber hinaus bestätigt der Validierungsbericht, dass alle Systemanforderungen umgesetzt wurden und für die geplante Anwendung geeignet sind, die Einhaltung der geforderten Unabhängigkeiten, die Anwendung der entsprechenden Techniken und Maßnahmen sowie den korrekten Übergang der Projektphasen. Dieser Sicherheitsnachweis zusammen mit den Nachweisen anderer Systeme wird benötigt, um bei der Lizenzierungsbehörde „Inspectie Leefomgeving en Transport“ den Antrag zu stellen, mit Passagieren zu fahren.


4 EventViewer und Depot Management System (DMS) 

Der Assetmanager GVB nutzt in Amsterdam für Wartungszwecke den EventViewer von der Verkehrsautomatisierung Berlin, VAB. Mithilfe des EventViewers lassen sich die Prozessdaten des Steuerungssystems
bündeln und visualisieren. Hierdurch haben Techniker die Möglichkeit, einfache Fehler zu suchen und Störungen zu analysieren. Darüber hinaus verfügt die Fahrsignalanlage über eine Schnittstelle zum DMS, die es ermöglicht, Tore zum Depot und Türen zu Hallen zu öffnen und Straßenbahnen automatisch auf die richtigen Gleise zu leiten.


5 Fazit
Mit der Anlage WK2701 hat Hanning & Kahl eine hochmoderne Anlage realisiert, die nach CENELEC entwickelt wurde und dem Stand der Technik entspricht. Mit der Einführung der „Automatic Reset“- Funktion ist es möglich, den normalen Betrieb aus bestimmten Fehlermodi wiederherzustellen, ohne dass ein Servicetechniker erforderlich ist. Diese Funktionalität ist für die Betreiber wertvoll, da man den Betrieb nach Ausfällen schneller wieder aufnehmen kann, was letztendlich den Fahrgästen auf der Uithoornlijn zugutekommt. Dank der guten Zusammenarbeit zwischen Hanning & Kahl, der Gemeinde Amsterdam und GVB konnte die Installation pünktlich und innerhalb des Budgets geliefert werden.

Autoren
Dipl.-Ing. (FH) Eduard Emmich, Technischer Projektleiter / Technical project manager, Hanning & Kahl GmbH & Co. KG
Ir. Jan Engels, Berater für Verkehrssysteme / Transit Systems Consultant, Mott MacDonald