Zügig nach Zwickau Zentrum: Fahrsignalanlage mit Zugbeeinflussung
tram.news: Herr Dr. Schranil, was verbirgt sich hinter dem „Zwickauer Modell“?
Dr. Schranil: Mit dem Zwickauer Modell werden umsteigefreie Verbindungen zwischen der Zwickauer Innenstadt und dem Umland ermöglicht. Technisch bedeutet dies die Vernetzung von Eisenbahn und Straßenbahn als Tram-Train-System mittels Drei-Schienen-Gleis, da die Zwickauer Straßenbahn eine geringere Spurweite von 1 000 Millimetern aufweist. Speziell in Zwickau fahren Eisenbahnfahrzeuge auf der Straßenbahninfrastruktur.
tram.news: Für uns stehen Sie persönlich für die ambitionierte technische Modernisierung des Zwickauer Modells. Welche Projekte waren hierfür zu stemmen?
Dr. Schranil: Seit der Inbetriebnahme am 28.05.1999 (Regelspur) bzw. 01.10.1999 (Meterspur) hatte die tägliche Befahrung deutliche Spuren an der Infrastruktur hinterlassen. Nach über zwanzigjähriger Nutzungsdauer zeichneten sich daraufhin ab Ende 2019 drei konkrete Modernisierungsarbeiten ab, um einen langfristigen stabilen Tram-Train-Betrieb zu ermöglichen:
- Modernisierung der Leittechnik im Dreischienengleis (Betriebsaufnahme 13.06.2021)
- Grundinstandsetzung der Sonderweichen in Zwickau Zentrum (Betriebsaufnahme 29.10.2022 für Meterspur, 11.12.2022 für Regelspur) und Zwickau Stadthalle (Betriebsaufnahme 07/2023)
- Errichtung einer Fahrsignalanlage mit Zugbeeinflussung (Vorlaufbetrieb ab 08.10.2022 / Betriebsaufnahme 11.12.2022).
In TRAM News Nr. 98 (09/2021) hatten wir vom Leittechnikprojekt nebst neuem technischen Netzzugang berichtet.
tram.news: Können Sie das aktuelle Projekt der Fahrsignalanlage mit Zugbeeinflussung kurz erläutern?
Dr. Schranil: Der eingleisige Streckenabschnitt 9705 zwischen Zwickau (Sachs) Hbf und Zwickau Stadthalle wurde bisher durch eine Zugsicherungsanlage mit Streckenblock gesichert. Die zugehörige Sicherungstechnik war akut von Obsoleszenz bedroht. Daher musste eine kurzfristige Lösung gefunden werden, in die angrenzende Leit- und Sicherungstechnik der DB Netz integriert werden und bereits zukunftskompatibel zum ESTW Zwickau ab Ende des Jahrzehnts sein.
Zuletzt wurden in besagtem Streckenabschnitt betriebsbedingt 30 km/h gefahren, obwohl die Infrastruktur deutlich höher dimensioniert war. In der Analyse des betrieblich Wünschenswerten und des technisch Umsetzbaren beträgt die neue Höchstgeschwindigkeit 60 km/h. Dies erlaubt noch das Fahren auf Sicht und den Einsatz einer Fahrsignalanlage. Eine Zugbeeinflussung wurde ergänzt, um bei unzeitiger Annäherung an die Fahrsignale oder dem Überfahren eines F0-Signals eine Zwangsbremsung auszulösen.
Die von der SVZ maßgebend erarbeitete Vorzugsvariante trennt die Funktionalitäten des Sicherns der Eingleisigkeit als Fahrsignalanlage nach BO Strab von jener der Ein- und Ausfahrt nach Zwickau (Sachs) Hbf als Zugfahrstraße nach EBO. Der Bahnübergang Planitzer Straße arbeitet weitestgehend autark innerhalb der Fahrsignalanlage. Die gesicherte Einschaltung prüft bei Annäherung an die Fahrsignalanlage das Freisein der Achszählkreise, die korrekte Lage der Weiche A2 bzw. deren Umlauf und das Anstoßen des Bahnübergangs. Da das Ausschalten des Bahnübergangs unmittelbar nach dessen Befahrung über separate Achszähler erfolgt, ergeben sich sehr kurze Schließzeiten.
Das formal städtische Vorhaben kostete ca. 0,80 Mio. € und wurde mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des von den Abgeordneten des sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts (75 %) sowie Eigenmitteln der Stadt Zwickau.
tram.news: Wie sind Sie auf HANNING & KAHL als Partner gekommen und wie verlief die Zusammenarbeit?
Dr. Schranil: Nach der Planung wurden Lieferung und Montage am 10.12.2021 deutschlandweit nach VOB ausgeschrieben. H&K hatte sich mit Frauscher-Sensorik sowie Scheidt&Bachmann für die Bahnübergangssteuerung darauf beworben. Am 21.03.2022 wurde der Zuschlag erteilt, wobei zunächst eine sechswöchige Realisierung bis 26.08.2022 angestrebt wurde. Dieser Zeitplan wurde unter Berücksichtigung der Projektierungs- und Lieferfristen verworfen.
Der Rückbau der Alttechnik begann am 29.08.2022 gemeinsam mit dem dafür verschobenen ersten Bauabschnitt der Sonderweichen. Im selben Zuge wurden die neuen Signale gestellt, die Steuerung des Bahnübergangs Planitzer Straße erneuert und die Rückbauten auf Seite DB Netz durchgeführt. Am 08.10.2022 wurde der provisorische Betrieb von Zwickau (Sachs) Hbf zunächst bis Zwickau Stadthalle aufgenommen, welcher nur die Einschaltung des Bahnübergangs über Hilfseinschalttaster beinhaltete. Am 22.11.2022 erfolgte die Werksabnahme der Fahrsignalanlage bei H&K. Die Inbetriebnahme erfolgte am 09.12.2022, so dass im neuen Fahrplan ab 11.12.2022 wieder alle Züge nach Zwickau Zentrum gelangten.
Man muss HANNING & KAHL hier zugutehalten, dass in der trotz allem geringen Realisierungszeit eine kundenspezifische Lösung realisiert wurde, welche in der nichtstandardisierten Schnittstelle von BO Strab und EBO einen sicheren und verfügbaren Fahrbetrieb ermöglicht.
tram.news: Das Projekt klingt nach enger Abstimmung mit DB Netz und der Technischen Aufsichtsbehörde (TAB). Wie waren Ihre Erfahrungen hierzu und seither?
Dr. Schranil: Für den Übergang aus der EBO-Welt in die BO Strab-Betriebsweise wurde seitens der DB Netz eine Unternehmensinterne Genehmigung (UIG) erfolgreich durchlaufen. Dies führt beispielsweise dazu, dass sicherungstechnisch die EBO noch innerhalb der BO Strab-Strecke beginnt, um eine feindliche Fahrt Richtung Zwickau (Sachs) Hbf fernzuhalten.
BO Strab-seitig war ein reguläres Zustimmungsverfahren zu durchlaufen. Für die Inbetriebnahmegenehmigung hatte die SVZ die Fachführung ggü. der TAB inklusive des zu erstellenden und zu durchlaufenden Testprogramms. Die Bahnaufsicht kam nach Einführung des Vorlaufbetriebs und nach Aufnahme des Regelbetriebs zu Ortsterminen nach Zwickau. Am 27.03.2023 wurde die Inbetriebnahmegenehmigung nach § 62(6) BO Strab ohne Auflagen erteilt.
Nach rund einem halben Jahr mit der neuen Technik und den damit verbundenen neuen Betriebsweisen sind die Erfahrungen sehr positiv. Wurden die ersten Fahrten nach Zwickau Zentrum noch vom Betriebsleiter persönlich begleitet, überwiegt heute der positive Tenor von Fahrbediensteten und Disponenten. Die Abläufe haben sich etabliert und die Verfügbarkeit ist auf sehr hohem Niveau stabil.
Das Interview führte Jörg Grote, Kundenmanagement, Bereich Infrastruktur
Kurzvita
Dr. Steffen Schranil, 38, ist Verkehrsingenieur für Elektrische Bahnen (TU Dresden) mit Promotion in der Bahnbetriebsforschung (ETH Zürich). Zunächst tätig als Teilprogrammleiter bei SBB Energie, Flottenleiter bei SBB Cargo International und als Leiter ATO bei Stadler. In Sachsen ist er seit 11/2019 als Abteilungsleiter Technik der Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau (SVZ) beschäftigt und seit 05/2022 als Betriebsleiter BO Strab bestellt.